von Saskia Thieme
Die Digitalisierung von Unternehmensprozessen stellt die meisten Branchen und Unternehmen vor große Herausforderungen. In der Vergangenheit wurde diesem Thema auch innerhalb der Bauwirtschaft tendenziell zu wenig Bedeutung beigemessen. Was sind die Gründe dafür und wie kann diese Herausforderung praxisorientiert und erfolgreich gemeistert werden?
Das Originalinterview mit Herrn Eisele vom BFW Bayern finden Sie unter: LINK auf Seite 22 - 24
Andreas Eisele:
Herr Werner, wir freuen uns darüber Sie als langjährigen Kooperationspartner des BFW Landesverband Bayern e.V. zu begrüßen. Sie beraten seit vielen Jahren Unternehmen in der Bauwirtschaft. Welches Bild zeigt sich Ihnen aktuell in der Praxis bezüglich Prozessmanagement und der Digitalisierung von Prozessen in der Bauwirtschaft?
Thomas Werner:
Zuallererst ein herzliches Dankeschön für die langjährige hervorragende Zusammenarbeit.
Die Praxis zeigt, dass die Wichtigkeit von digitalen, wirtschaftlichen Prozessen bei einer boomenden Auftrags- und Umsatzsituation häufig hintenangestellt wird. Es fehlt mitunter an einem unternehmensübergreifenden Konzept, an zeitlichen Ressourcen und niemand fühlt sich für diesen Themenbereich richtig verantwortlich.
Die letzten zwei Jahre haben verstärkt zum Umdenken in der Branche angeregt. Zentraler und mitunter mobiler Zugriff auf alle wichtigen Informationen und Daten wurde mit einem Schlag enorm wichtig. Mobiles Arbeiten, „Just in Time“-Auswertungen und absolute Kostentransparenz und auch das Optimieren betrieblicher Prozesse haben einen höheren Stellenwert erhalten.
Um auf Ihre Frage zurückzukommen: Generell hat man dem Thema „Digitalisierung“ in der Vergangenheit zu wenig Bedeutung beigemessen bzw. hat sich, bedingt durch das laufende Tagesgeschäft, diesem Thema nicht nachhaltig gewidmet. Häufig wurde auch aufgrund einer hervorragenden Geschäftsentwicklung keine Notwendigkeit gesehen in das systemische Arbeiten, die Digitalisierung von Unternehmensprozessen und deren Optimierung zu investieren.
Wir stellen auch immer wieder eine gewisse Skepsis hinsichtlich des Themenkomplexes „Digitalisierung“ fest. Es fehlt die Operationalisierung des Begriffs.
Wie ist Digitalisierung definiert? Ganz gewiss bedeutet es nicht das Einscannen von Dokumenten. Vielmehr ist es ein optimierter, unternehmensübergreifender, strategischer Organisationsprozess für ein reibungsloses Ineinandergreifen aller Arbeitsbereiche und der zugehörigen Informationen und Prozesse.
Die reine Digitalisierung vorherrschender „schlechter“ Prozesse ergibt in der Regel einen „schlechten“ digitalen Prozess. Wenn Sie vorher ein Sammelsurium an Angeboten, Verträgen und Abrechnungen hatten, wird lediglich ein Abbild desgleichen in digitaler Form resultieren.
Andreas Eisele:
Woran liegt das zaghafte Verhalten, wenn es um das Thema Prozessdigitalisierung geht? Und welche Konsequenzen resultieren hieraus?
Thomas Werner:
Die Ursache liegt sowohl in strukturellen als auch personellen Faktoren. Insbesondere konservative Hierarchien sind oft ausschlaggebend für mangelnde Offenheit bezüglich Prozessoptimierung und Digitalisierung. Es wird an „alten“ Arbeitsweisen und Abläufen festgehalten.
Hinzu kommen psychologische Aspekte: der Mensch an sich ist ein Gewohnheitstier und lehnt häufig Veränderungen - auch in Form besserer Arbeitsweisen - ab.
Eine erhöhte Transparenz führt bei dem ein oder anderen außerdem zunächst zu einer Ablehnung.
Ein neues System bringt neue Anforderungen und effizientere Arbeitsweisen mit sich. Grundvoraussetzung für den gewünschten Mehrwert durch die Prozessoptimierung ist ein vollumfängliches Einlassen auf das neue System und die letztendliche Umstellung auf dieses, soll heißen: nach der vollständigen Implementierung und Schulung der Mitarbeiter ist paralleles Arbeiten mit dem alten System beziehungsweise in der „alten“ Arbeitsumgebung ein “No Go”.
Was Ihre zweite Frage angeht: auch heute stellen wir in der Branche noch immer einen unterdurchschnittlichen Digitalisierungsgrad fest. Es werden zwar verschiedenste, bereichsbezogene Softwarelösungen in Unternehmen eingesetzt. Jedoch bedeutet dies per se noch nicht, dass damit alle wichtigen Unternehmensprozesse durchgängig, optimiert und produktivitätssteigernd vernetzt sind. Ganz im Gegenteil: häufig finden wir in solchen Insellandschaften einzelne Lösungen, die autark und nahezu bezugslos nebeneinanderstehen.
In der Praxis fällt uns auf, dass in nicht- oder teildigitalisierten Unternehmen erhebliche Such- und Koordinationskosten anfallen. Ein „just in time“-Steuerungsinstrument für das Management liegt meist in Form von „Stand-Alone“-Tabellenkalkulationen vor. Durch den fortlaufenden erhöhten Pflegeaufwand hierfür steigt automatisch die Fehleranfälligkeit und es entstehen Zeitfresser und Redundanzen. Aus vielen Teilprozessen wird noch lange kein rundes Ganzes.
Andreas Eisele:
Wie lautet Ihre Empfehlung an Unternehmen, die sich mit dem Themenkomplex ganzheitliche Prozessoptimierung und Digitalisierung auseinandersetzen?
Thomas Werner:
Meines Erachtens ist der Bereich Digitalisierung auf der strategischen Unternehmensebene anzusiedeln, d.h. ich sehe diesen Themenkomplex als strategische Führungsaufgabe und damit als „Chefsache“.
Digitalisierung und Optimierung von Unternehmensprozessen hat viele Facetten und sollte dann in der operativen Umsetzung alle Unternehmensbereiche integrieren.
Grundvoraussetzung für erfolgreiches Prozessmanagement ist das Vorhandensein oder das Etablieren einer durchgängigen „Prozessdenke“ auf allen Unternehmensebenen. Ist diese Grundvoraussetzung gegeben und geht man dieses Thema definiert und zielstrebig an, ist der Aufwand minimal in Relation zum resultierenden Mehrwert. Das Hauptrisiko einer bruchstückhaften, nicht durchgängigen Digitalisierung bzw. ein Rückfall in alte Strukturen und Arbeitsweisen, wird dadurch vermieden.
Dem ganzheitlichen Prozessmanagement auf Unternehmensebene, d.h. über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg, kommt somit eine besondere Bedeutung zu. Hauptziel sollte immer die Optimierung von Transparenz und Produktivität und die Fokussierung auf die wertschöpfenden Unternehmensprozesse sein.
Andreas Eisele:
Viele Unternehmen entscheiden sich für eine schrittweise Digitalisierung bzw. für ein Arbeiten mit Teillösungen, um Mitarbeiter nicht zu überfordern. Sie haben dies als Insellandschaft bezeichnet. Ist das der richtige Weg?
Thomas Werner:
Was heißt „schrittweise“ Digitalisierung?
Generell empfehlen wir zunächst stets eine klare Zieldefinition. Was möchte ich erreichen und wie soll zukünftig gearbeitet werden?
Die Integration von Teilsystemen in die Arbeitsprozesse ist häufig mit der Gefahr verbunden die bestehenden Probleme lediglich zu verlagern. Informationen werden mehrfach in verschiedene Systeme eingegeben, da hierfür keine durchgängigen Schnittstellen existieren und dadurch ein unangemessen hoher Arbeits- und Kontrollaufwand verursacht wird. Die Datenqualität leidet – Fehler sind vorprogrammiert.
Demgegenüber steht die Implementierung einer ganzheitlichen Systemlösung, sprich eines praxisbezogenen ERP-Systems. Auch hier wird in gewisser Weise „schrittweise“ vorgegangen, allerdings aufeinander aufbauend: man startet beispielsweise mit dem Bereich Kommunikation, geht über den Vertrieb/Verkauf, den Einkauf stufenweise bis alle weiteren Arbeitsbereiche - angelehnt an die Projektzielsetzung - ganzheitlich integriert sind.
Wichtig dabei ist vor allem ein individuelles Implementierungskonzept, welches auf die Bedürfnisse des Unternehmens zugeschnitten wird und die notwendigen Milestones beinhaltet. Auf diese Weise wird der höchste Erfolg bei der Einführung eines Systems erreicht. Sie sehen: Implementierung ist auch ein Prozess – ein begleitender. Als Ergebnis stehen dann optimale digitale Prozesse, Transparenz, eindeutige Daten „Just in Time“ und eine erhebliche Produktivitätssteigerung für das Gesamtunternehmen.
Andreas Eisele:
Herr Werner, herzlichen Dank für das aufschlussreiche Bild aus der Praxis. Wir freuen uns auf die weitere Partnerschaft und den praxisbezogenen Austausch mit der Schultheiß Software AG.